Du bist Essig in meinen Wunden, ich liebe dich | |||
Die Hamburger Sängerin und Schauspielerin Anja Stoehr ist rettungslos dem Tango verfallen | |||
VON THOMAS W. SCHMIDT Die Schrift auf dein Schild ist unscharf, nur mit Mühe lässt sich das Wort "Argentinienbrücke" entziffern. Der Blick einer jungen Frau schweift über diesen Sehnsuchtsort im Hamburger Hafen. Hier starteten vor hundert Jahren Auswanderer zu Tausenden ins Ungewisse. Die Frau auf dem Foto ist die Sängerin und Schauspielerin Anja Stoehr. Das Bild gehört zu den schönsten Fotos ihres großformatigen CD-Buches, das bei der Hamburger Plattenfirma Danza y Movimiento erschienen ist: "Baiadas parael tango". Die zierliche Frau mit den blauen Augen ist in Ahrensburg groß geworden. Doch bei aller Liebe zu Hamburg und zum Hafen: An der Elbe ist sie zurzeit kaum anzutreffen. In Berlin hat sie bei einer Opernproduktion mitgewirkt, und Dreharbeiten zu der ZDF-Serie "SOKO Kitz" verschlugen Anja Stoehr immer wieder nach Süddeutschland oder Österreich. Im kommenden Frühjahr ist sie in der Rolle einer Gerichtsmedizinerin regelmäßig im Fernsehen zu sehen. So eine wie Anja Stoehr braucht ja vielleicht auch nicht unbedingt einen Ort, an dem sie zuhause ist, denn sie hat ihre Heimat im Tango Argentino gefunden - der Musik der Heimatlosen. "Mich interessiert an den Tangoliedern die Intensität der Gefühle. Was über allem schwebt und was für mich die Musik des Tangos ausmacht, ist eine einzigartige Form von Energie. |
Die hat für mich etwas Befreiendes", sagt Anja Stoehr. Dass Tangos immer traurig oder melancholisch seien, hält sie
für ein "falsches Klischee" - auch wenn es im Tango meistens regnet und die Straßen nicht allem vom Dunkel der Nacht schwarz sind. Selbst hinter den Texten
über menschliche Abgründe stecke oft große Kraft. Als Beispiel für diese spannungsreiche Ambivalenz nennt Anja Stoehr das Lied "Fuimos", in dem es so herrlich traurig heißt: "Ich war wie ein Regen aus Asche und Erschöpfung auf dein Leben. Essig auf deine Wunden. Wir waren die ewig unerfüllte Hoffnung, blasse Schiffbrüchige, geschüttelt von den Wellen der Liebe und des Lebens." Selbst dieses vordergründig so dunkle und selbstzerfleischende Lied vermittle eine enorme Kraft der Liebe - auch wenn sie aus der Verzweiflung geboren sei. Denn im Refrain heißt es: "Verstehst du nicht, dass ich dich liebe." Besonders verbunden fühlt sich Anja Stoehr derzeit dem lebensfrohen "Te quiero, ehe" von Horacio Ferrer, zu dem Astor Piazzolla die Musik schrieb. Erst nippt sie in ihrer Küche genussvoll am Milchkaffee, dann zitiert sie den Text: "Pass bloß auf! Irgendwann... auf irgendeiner Straße wird dich mein ultimativer KUSS überfallen! Und die Straßenarbeiter der ganzen Stadt werden statt Zebrastreifen lauter riesige ICH LIEBE DICHS auf die Straße malen." So unbeschwert war die Frau mit den dunklen Haaren und dem indianisch anmutenden Gesicht nicht immer. |
Sie hat eine schwere Krankheit erfolgreich bekämpft. "In der langen Zeit im AK Altona stellten sich mir Fragen über mein Leben und über meine bis dahin nur zum Teil befriedigende künstlerische Arbeit." Der Wunsch nach einem "persönlicheren künstlerischen Ausdruck" sei in dieser Zeit entstanden. Nach ihrer Genesung | Vorgaben eines Stückes, einer Rolle oder eines Regisseurs begrenzt zu werden. Es war nicht so geplant, aber plötzlich wurde
der Tango die Hauptsache in meinem Leben." In Bibliotheken in Buenos Aires las sie viel über den Tango, in Gesprächen mit alten Tangueros kam sie seiner
Geschichte auf die Spur, Abschied, Liebe, Hingabe. Trauer, Sehnsucht oder das "Unkraut der Vorstädte" - Anja Stoehr liebt die immergleichen Themen des Tangos: "Das ist großartige Poesie, die starke Bilder in mir weckt." Deshalb sei das Wichtigste beim Singen im Tango für sie auch nicht der schöne, reine Klang, sondern das Vermitteln von Emotionen, von Stimmungen und Atmosphäre. "Die Schauspielerin Anja Stoehr wurde auf einmal scheinbar von der Tangosängerin Anja Stoehr verdrängt. Ich sage scheinbar, weil es am Ende natürlich keine Verdrängung, sondern eine Bereicherung war - auch wenn ich Tangos singe, ist meine Arbeit am Text ja sehr von der Schauspielerei geprägt." Dass "irgendwelche Puristen", die europäische Tangosängerinnen grundsätzlich nicht akzeptieren, Anja Stoehrs Daseinsberechtigung als Interpretin dieser Kunst bezweifeln - damit muss sie leben. "Als Künstler ist man immer angreifbar, denn Kunst ist Geschmackssache", findet sie. "Als europäische Tangosängerin begibt man sich natürlich erst recht auf eine Gratwanderung, da die Frage nach Authentizität eine größere Rolle spielt." Dass sie auf dem schmalen Grat sicher zu balancieren vermag, beweisen ihre "Baladas para el tango". |
![]() FOTO: SCHMIDT | |||
reiste sie für mehrere Monate nach Buenos Aires, um sich intensiv mit dem Tango in Gesang und Tanz zu befassen. In dieser Zeit entstand ihr erstes
eigenes Programm "Tango Canciõn" mit dem israelischen Pianisten Micky Landau. "Diese Erfahrung war sehr beglückend", erinnert sich Anja
Stoehr. "Die überschwänglichen Publikumsreaktionen gaben mir das Gefühl, zum ersten Mal mein wirkliches künstlerisches Potenzial entdecken und ausschöpfen zu können, ohne von den |